The recordings of the durational voice performance
Dialogue of Memories
are now available on
Five parts each with 552 vocal sounds, during the night of summer solstice in Sirgenstein Cave. This performance was part of the Performance-Film-Project STRATA by VestAndPage. More below!
Die Aufnahmen meiner Langzeit-Stimmperformance
Dialogue of Memories
sind jetzt auf
verfügbar sein! Fünf Teile mit jeweils 552 Stimmklängen. Die Performance fand statt in der Nacht der Sommersonnenwende 2021, in der Sirgensteinhöhle auf der Schwäbischen Alb. Die Aktion ist Teil des großen Performance-Film-Projekts STRATA von VestAndPage. Weitere Informationen unten!
english version below in a separate text section!
„Dialogue of Memories“
Langzeit-Stimm-Performance
am 20./21. Juni 2021 in der Sirgenstein-Höhle
auf der Schwäbischen Alb
Bevor ich meinen Bericht dieser für mich so wichtigen und eindrücklichen Erfahrung gebe, will ich meinen Dank aussprechen: vor allem an Verena Stenke und Andrea Pagnes (VestAndPage), die mich eingeladen haben, an diesem großartigen Projekt „Strata“ teilzunehmen. Ohne die beiden hätte ich wahrscheinlich nie die Gelegenheit bekommen, an diesen so ungewöhnlichen und fordernden Orten eine Stimmperformance zu machen. Dank auch an das Team: Marcel Sparmann, der die Fotos gemacht hat und in vieler Hinsicht unterstützend präsent war und an Douglas Quin, der die wunderbaren Audio-Aufnahmen gemacht hat. Und last but not at all least an Agnes Pollner, meine Partnerin, die die Performance in der Sirgensteinhöhle mitgeprägt hat und im Hohle Fels auch stimmlich mit mir präsent sein konnte. Es war eine Freude mit Euch zu arbeiten!
Performanceplan/Performancebericht
Ort:
Die Sirgensteinhöhle ist eine Höhle im Achtal, in der Nachweise von Neandertalern und modernen Menschen gefunden wurden. U.a. der einzige direkte Hinweis in dieser Region auf homo sapiens von 40000 Jahren: in Form von einigen Zähnen. Außerdem hat man auch dort Kunst aus dieser Zeit gefunden. Die Sirgensteinhöhle gehört mit einigen anderen Höhlen auf der Schwäbischen Alb zum Weltkulturerbe, weil es sich um offenbar weltweit einzigartige Fundstätten für früheste figurative Kunst handelt. Die dort gefunden Kleinskulpturen wie der Wasservogel, der Löwenmensch oder die Venus von Hohle Fels sind in der Tat wie die Flöten aus Mammutbein umwerfend schön.
Zeit:
Die Nacht auf den 21. Juni 2021 von Sonnenunter- bis aufgang.
Zeitmessung während der Performance:
Mit der Knotenkordel, die ich von dem Künstler Terry Fox übernommen habe und die 552 Knoten hat, gemäß der Schritte/Steine des Labyrinths von Chartres. Die Einbeziehung des Labyrinths kann man als symbolischen Zwischenschritt auf dem Weg zur Höhle als ursprünglichem Lebens- und (Kult)-ort verstehen. (Dazu gibt es weiter unten ein Zitat!)
Persönlich ist es ein Schritt in die Erinnerung, meine Arbeit mit der Kordel und Stimme zu verschiedenen Anlässen.
Situation:
Ab Sonnenuntergang bis zum Sonnenaufgang (Sommersonnenwende, also die kürzeste Nacht des Jahres) saß ich im hinteren Teil der Höhle auf einem Stuhl und habe mit jedem Atemzug einen Stimmklang gemacht. Und zwar je 552 mal, je Knoten der Kordel einen Atemzug. Danach eine kurze Pause, um die Beine zu vertreten, einen Schluck zu trinken etc.
In den Pausen habe ich Begriffe auf Papier geschrieben, das danach auf den Höhlenboden gelegt wurde. Die Worte haben sich aus der inneren Bewegung oder der stimmlichen Entwicklung ergeben und ein Bild, eine Frage oder einen Aspekt bezeichnet, der mir in den Sinn kam. Durch das Aufschreiben wollte ich diese Gedanken loslassen, um wieder frisch mit der nächsten Phase beginnen zu können. Die Begriffe auf dem Papier stellten also keine Ergebnisse dar, sondern waren eher Hilfen, um den Geist zu entlasten.
Die folgenden Begriffe habe ich aufgeschrieben:
Die performative Situation in der Höhle wurde mitgestaltet von Agnes Pollner, die die Nacht über am Eingang der Höhle saß und meditierend den Ort prägte. Wie vieles andere stellte sich auch das als nicht so einfach heraus wie wir vermutet hatten. Ihre Aufgabe war größer als gedacht. Sie wurde in gewisser Weise zu einer Wächterin, die den Eingang zur Höhle bewachte. (Zur Arbeit von Agnes findet sich hier einiges!)
Ich hatte den Anzug an, der für eine Produktion mit dem Titel Hamlet-Mühle 2011 entstanden ist. Kostüm Hans von Almsick, tausendschoen) Klassischer Anzug, aber in einem sehr festen, zugleich durchsichtigen Stoff, der wenig freie Bewegung zulässt. Damit sollte hervorgehoben werden, dass es nicht um eine Annäherung an „Natur“ geht, sondern um eine Performance, die sich im Rahmen von Kunst und Kultur bewegt.
(Nachtrag 2024: Das würde ich heute, nach meinen Erfahrungen in der Recherche zu vocal ecotism, so nicht mehr formulieren. Viel mehr geht es darum, die alte Unterscheidung zwischen Natur und Kultur zu überwinden und nach einer neuen Weise zu suchen, wie wir uns in Beziehung zur mehr als menschlichen Welt setzen können. Heute kann ich erkennen, dass diese Performance einen Schritt in diese Richtung darstellt.)
Der bewegungshemmende Anzug verweist außerdem darauf, dass ich weder ganz in die Zivilisation noch in eine Vorzeit passe.
Das Aufnahmeequipment war so eingerichtet, dass Agnes und Ich über die längste Phase der Nacht alleine in der Höhle waren. Es gibt eine durchgehende Audioaufnahme. Da es die meiste Zeit stockdunkel war, wurde nur zu Beginn und am Ende eine Videoaufnahme gemacht.
Stimme: Ich habe mit verschiedenen stimmlichen Vorgaben gearbeitet, z.T. mit Atem-Stimme-Rhythmen, die sich aus einer inneren Fokussierung auf Aspekte des Erinnerns und des Kontaktes mit dem Höhlenraum ergeben.
Die geplanten Stimm- und Atemphasen waren:
An diese Phasen habe ich mich während der Nacht gehalten, allerdings nicht in einer vorgegebenen Reihenfolge. Ich bin je nach innerer Situation auf die ein oder andere Art der Präsenz im Raum eingeschwenkt.
Als Licht hatte ich für die Pausen eine Sonnenlampe, die über Solarzellen tagsüber aufgeladen wird. Die Sonne in den Raum bringen! Während der Stimmaktion war es in der Höhle dunkel, bis am Morgen auch durch das Loch in der Decke allmählich das Sonnenlicht kam.
Grundlegendes Thema bzw. die innere Ausrichtung war die Erinnerung, beginnend mit der bewussten Erinnerung des Performers (und der Unterstützer*innen), über die Erinnerung des Körpers, des Ortes, des Raumes, der Steine etc. bis hinein in die imaginative Erinnerung auf der Ebene von Molekül und Atom. Formgebend war dabei ein spezieller Aspekt der Erinnerungsgeschichte der Höhle: Die geistige Verbindung zu den Künstlern und Künstlerinnen, die vor ca. 40000 Jahren hier lebten, die Skulpturen und Flöten hergestellt und die Musikinstrumente gespielt haben.
Ich wollte die Performance in der Nacht machen, um die Gegenwart soweit wie möglich schlafen zu lassen und leichter in die Erinnerungsschichten des Ortes eindringen zu können.
Diese Ausrichtung stellte sich im Laufe der Nacht als sehr viel schwieriger heraus als ich vermutet hatte. Zunächst einmal begann die Nacht mit einem starken Gewitter. Wir sind bereits im strömenden Regen zur Höhle gefahren und gegangen. Und in der ersten Phase, von der ich nicht weiß, wie lange sie gedauert hat, war ich statt mit der Erinnerung mit der sehr präsenten Gegenwart des Donners konfrontiert. Das war eine einzig- und großartige Erfahrung. Der Donner kam in die Höhle in einer Weise, die es mir erlaubt hat, damit stimmlich in einen Dialog zu treten. Ein Duett mit dem Donner! Im Hintergrund dieser Erfahrung steht eine Legende, die mit der Sirgensteinhöhle verbunden ist. Darin geht es um die Musen, die Töchter von Zeus und Memoria, die in der Höhle – wegen ihrer schönen Akustik - sangen. Bis sie von einem Riesen oder Zyklopen dort eingesperrt wurden. Zeus kam ihnen zu Hilfe und verwandelte sie in Elstern, so dass sie durch das Loch oben in der Höhle entfliehen konnten. Diese Legende, die der Mönch Felix Fabri im 15. Jahrhundert aufgeschrieben hat (im Wortlaut ist sie unten zu finden!), hatte ich in der Vorbereitung auf die Performance gelesen. Zeus und memoria. Zu Beginn der Nacht hat sich also Zeus in den Vordergrund gebracht.
Doch auch nach dem Gewitter ist es mir kaum gelungen, in die Erinnerungsschichten des Ortes und meines Geistes einzusteigen. Neben den erwarteten Schwierigkeiten durch Kälte und Nässe hat sich mir eine ganz unerwartete Erfahrung aufgedrängt: Die Höhle schien mir kein Ort zu sein, an dem die Zeit oder die Geschichte so abläuft wie an anderen Orten. Die Höhle ist in gewisser Weise zeitlos. Zwar geschehen auch dort Dinge, aber sie scheinen nicht in der Weise gespeichert zu werden, wie man z.B. in einem alten Haus manchmal spüren kann, dass es über lange Zeit Leben gab. Die Höhle kam mir eher vor wie ein Ort, an dem die Zeit geboren wird.
In meinem Konzept, das ich vor der Performance geschrieben habe (und das unten nachzulesen ist) hatte ich ganz unbewusst eine Andeutung in diese Richtung gegeben. Ich spreche dort nämlich davon, dass die Höhlen die schwarzen Löcher der Erde sind. Wie in einem galaktischen schwarzen Loch ist auch in der Höhle die Zeit anderen Gesetzen unterworfen als außerhalb ihrer.
Merkwürdig war an dieser Zeitwahrnehmung, die mich die ganze Nacht über nicht verlassen hat, dass mein Geist oder mein Bewusstsein daran festhing, meine Stimme aber zumindest manchmal den Kontakt zu den tieferen Zeitschichten herstellen konnte. Das ist schwer in Worte zu fassen, aber mir schien, dass meine Stimme eher in den direkten Kontakt mit der Höhle kam, als „Ich“.
Die Nacht war nicht einfach. Es gab darin sehr lange Phasen, die nicht aufzuhören schienen. Dann wieder verging die Zeit viel schneller. Am Ende habe ich die letzten 552 Atemzüge und Stimmklänge weit über den Sonnenaufgang hinaus gestreckt.
Wie klang das alles? Die Performance fand natürlich ohne Publikum statt. Deswegen kann es keine Berichte von Zuhörer*innen geben. Es sind aber Audio-Aufnahmen von der Stimmperformance entstanden, die mittlerweile auf soundcloud und als CD veröffentlich wurden. Ausschnitte der Stimmaufnahmen sind auch in dem Strata-Film (stratafilm.com
photo: Verena Stenke
durational Voice-Performance
„Dialogue of Memories“
at 20./21.June 2021 in Sirgensteincave
Before I give my report of this experience, which was so important and impressive for me, I want to express my gratitude: first of all to Verena Stenke and Andrea Pagnes (VestAndPage), who invited me to participate in this great project "Strata". Without them I would probably never have had the opportunity to do a voice performance in these so unusual and challenging places. Thanks also to the team: Marcel Spamann, who took the photos and was present in many supportive ways, and to Douglas Quin, who made the wonderful audio recordings. And last but not least to Agnes Pollner, my partner, who helped to shape the performance in the Sirgenstein cave and was also able to be present with me vocally in the Hohle Fels. It was a pleasure to work with you all!
Performance plan and report
Site:
Sirgenstein cave, one of the caves in the Achtal, where traces were found of Neandertals and of modern human beings. In this cave the only direct evidence of homo sapiens in this region of about 40 000 years ago was found: some teeth. And there were finds of artistic objects, too.
The Sirgenstein Cave, along with several other caves in the Swabian Alb, is a World Heritage Site because they are apparently unique sites worldwide for the earliest figurative art. The small sculptures found there, such as the water bird, the lion man or the Venus of Hohle Fels, are indeed stunningly beautiful, as are the flutes made of mammoth bone.
Time:
Night to the 21st of June, summer solstice, from sunset to sunrise.
Time Measuring during the performance:
With a knot cord, which I took from the artist Terry Fox and which has 552 knots, according to the steps/stones of the labyrinth of Chartres. The inclusion of the labyrinth can be understood as a symbolic intermediate step on the path to the cave as the original place of life and (cult).
On a personal level, it is a step into memory, my earlier work with cord and voice on different occasions.
From sunset to sunrise (summer solstice, i.e. the shortest night of the year) I sat on a chair in the back of the cave and made a vocal sound with each breath. Each period had 552 sounds, one breath per knot of the cord. Then a short break to stretch my legs, have a drink, etc.
During the breaks I wrote words on paper, which were then laid on the floor of the cave. The words arose from the inner movement or vocal development and denoted an image, a question or an aspect that came to my mind. By writing them down, I wanted to let go of these thoughts so that I could start fresh again with the next phase. So the terms on the paper did not represent results, but were rather a way to unburden the mind.
These are the words that I have written down:
The performative situation in the cave was co-created by Agnes Pollner, who spent the night sitting at the entrance to the cave and meditating on the place. Like many other things, this turned out to be not as easy as we had assumed. Her task was greater than suspected. She became, in a sense, a guardian who watched over the entrance to the cave. More about Agnes and her work you can find here!
I wore the suit originally created for a production titled Hamlet Mill in 2011. (Costume Hans von Almsick, tausendschön) Classic suit, but in a very firm, at the same time transparent fabric that allows little free movement. To emphasise that this performance is not an approximation of "nature" but a performance that moves within the framework of art and culture.
(postscript 2024: This is a sentence that I would not write down today after the experiences of the research project vocal ecotism. The challenge is rather to step beyond the distinction of nature and culture and look for new ways to relate with the more than human world. I can see now that this performance was indeed a step into this direction.)
The movement-restricting suit also refers to the fact that I neither quite fit into civilisation nor into a prehistoric era.
The recording equipment was set up so that Agnes and I were alone in the cave for the longest part of the night. Since it was pitch dark most of the time, a video recording was only made at the beginning and at the end.
Voice: I worked with different vocal presets, partly with breath-voice rhythms resulting from an inner focus on aspects of remembering and contact with the cave space.
The planned voice and breath phases were:
I followed these phases during the night, but not in a predetermined order. Depending on the inner situation, I switched to one or the other kind of presence in the room.
For the breaks, I had a sun-lamp as light, which is charged by solar cells during the day. Bringing the sun into the room! During the vocal action it was dark in the cave until in the morning the sunlight gradually came through the hole in the ceiling.
The basic theme or inner orientation during the performance was memory, starting with the conscious memory of the performer (and the supporters), through the memory of the body, the place, the space, the stones, etc. to the imaginative memory at the level of molecule and atom. The form was determined by a special aspect of the cave's history of memory: the spiritual connection to the artists who lived here about 40,000 years ago, who made the sculptures and flutes and played the musical instruments.
I wanted to do the performance at night in order to let the present sleep as much as possible and to be able to penetrate the memory layers of the place more easily.
This alignment turned out to be much more difficult during the night than I had suspected. First of all, the night started with a heavy thunderstorm. We already drove and walked to the cave in the pouring rain. And in the first phase, from which I don't know how long it lasted, I was confronted with the very presence of thunder instead of memory. That was a unique and great experience. The thunder came into the cave in a way that allowed me to dialogue with it vocally. A duet with the thunder! In the background of this experience is a legend connected with the Sirgenstein Cave. It is about the Muses, the daughters of Zeus and Memoria, who sang in the cave - because of its beautiful acoustics. Until they were imprisoned there by a giant or cyclop. Zeus came to save them and turned them into magpies so that they could escape through the hole at the top of the cave. I had read this legend, written down by the monk Felix Fabri in the 15th century (the text can be found below!), in preparation for the performance. Zeus and Memoria. So at the beginning of the night, Zeus brought himself to the fore.
But even after the thunderstorm, I barely managed to enter the memory layers of the place and my mind. Apart from the expected difficulties of cold and wet, a quite unexpected experience forced itself upon me: The cave didn't seem to me to be a place where time or history happened the way it does in other places. In a way, the cave is timeless. While things happen there too, they don't seem to be stored in the way you can sometimes feel in an old house - that there has been life for a long time. The cave felt more like a place where time is born.
In the concept I wrote before the performance (which you can read below) I had unconsciously given a hint in this direction. I talk about the caves being the black holes of the earth. As in a galactic black hole, time is subject to different laws in the cave than outside it.
What was strange about this perception of time, which did not leave me all night, was that my mind or consciousness was stuck to it, but my voice could at least sometimes make contact with the deeper layers of time. It's hard to put into words, but it seemed to me that my voice came into direct contact with the cave rather than "I".
The night was not easy. There were very long periods in it that didn't seem to stop. Then again, the time passed much faster. In the end I stretched out the last 552 breaths and voice sounds far beyond sunrise.
What did this all sound like? The performance took place without an audience, of course. That's why there can be no reports from the listeners. However, the audio recordings of the voice performance are now published on soundcloud. In the meanwhile Strata-Film
photo: Verena Stenke
Ein paar
Zitate,
mit denen ich u.a. in der Vorbereitung gearbeitet habe:
Die Höhlenwelt besitzt, so könnte man mit Ernst Cassirer sagen,„symbolische Prägnanz“, d.h. sie ist mit Sinnhaftigkeit imprägniert und die mit ihr interagierenden Menschen greifen die in den natürlichen Formen gegebenen Verweisungen auf und heben sie zusätzlich hervor oder vervollständigen sie zu ganzheitlichen Gestalten.
aus: Shumon T. Hussain & Thiemo Breyer
Menschwerdung, Verkörperung und Empathie
Die kretischen Labyrinthe sind keine Irrgärten sondern kreuzungsfreie Spiralen, und diese Gebilde scheinen seit Urzeitenein Kreisen und Versinken bedeutet zu haben.
Aus: H.-P. Dürr: Sedna, S. 148
Dass das Labyrinth eine Höhle oder die Unterwelt war, ist sein alters her schon behautet und vermutet worden. .... Reisende des 18. Jahrhunderts (...) benutzten bei ihrem Besuch der Höhle ein langes Seil, einen „Ariadnefaden“, um wieder sicher aus ihr herauszufinden.
Aus: H.-P. Dürr: Sedna, S. 160
Von jenem Stein habe ich den untrüglichen Beweis erhalten, dass diese Höhle die Wohnstatt war eines ungeheuerlichen Cyclopen oder großmächtigen Riesen, oder dass dort war ein Versammlungsort der Nymphen oder der Musen, worin sie mit nächtlichen Gesängen ihre fröhlichen Feste feierten.(...)
In der Grotte selbst ist ein sehr schöner Widerhall zum Singen. Solche wohltönenden Grotten suchten die Musen auf, von denen die Dichter erzählen, sie seien die Töchter des Jupiter und der Memoria, und hätten dem Apoll gesungen und musiziert, wenn er die Leier schlug. Ihnen spürte Pyrthenäus nach, ihr Feind, wenn sie in den Grotten sangen und sperrte sie da ein. Sie aber wurden in Elstern verwandelt und flogen davon zum Verderben ihres Kerkermeisters. So trägt Ovidius es vor.
Dieser Fabel Erdichtung kommt unserer Grotte hinlänglich zu, denn der Chorus der Musen, so sie darinnen sangen, war um des süßen Wohllauts willen wie dafür geschaffen. Da nun aber der Riese Pyrthenäus dieselben hier fand, wälzte er den Block vor die Öffnung und schloss die Höhle zu, und ist der Felsklotz hier zu sehen noch heutigen Tages. Sie riefen aber die Hilfe ihres Vaters Jupiter an, der wandelte ihre Gestalt in Elstern und sie flogen durch das Loch, das der Höhle Fenster ist, hinaus; seitdem ist dieses Geschlecht der Vögel geschickt zu Weissagungen weit und breit durch das Schwaben- und Alamannenland.
Felix Fabri: Legende aus der Sirgensteinhöhle
Rückblick. Herbst 2024.
Dreieinhalb Jahre ist es her, seit ich tönend eine Nacht in der Sirgensteinhöhle verbracht habe. Seitdem ist viel passiert. Ich habe viel Zeit mit Recherchen verbracht, die mich alle auf sehr unterschiedliche Weise mit der Frage konfrontiert haben, was die Stimmkunst mit dem Leben und der Welt, in ökologischer und politischer Hinsicht, zu tun hat.
Die Texte, die ich von Alfred Wolfsohn, dem Begründer der Stimmkunst, in dessen Tradition ich mich sehe, herausgegeben habe, zeigen mir, wie sehr die Idee der „menschlichen Stimme“ mit all ihren klanglichen Möglichkeiten aus den Erfahrungen entsprungen ist, die Wolfsohn als deutscher Jude in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts machen musste.
Die Beschäftigung mit dem deutschen Theaterautor Paul Pörtner, der Anfang der 1970er Jahre mit Roy Hart und dem Roy Hart Theatre in London gearbeitet hat, haben mir deutlich vor Augen geführt, dass es beiden nicht darum ging, eine irgendwie spektakuläre Stimmkunst auf die Bühne zu bringen, sondern die Arbeit mit der eigenen Stimme als eine Lebensform zu begreifen, die nur im Zusammenspiel mit anderen Stimmen und Menschen möglich ist.
Und schließlich hat die Recherche mit dem Titel „vocal ecotism – Stimmkunst in der versehrten Welt“ die noch im vollen Gange ist, mein Bewusstsein dafür geschärft, dass sich eine zeitgenössische Stimmkunst (für mich) zwei Aufgaben stellen muss: Sie muss dafür sorgen, dass die Stimme und die Stimmkunst nicht mehr als rein kulturelles Phänomen verstanden werden. In der Überwindung der modernen Trennung von Kultur und Natur offenbart sich ihre Eingebundenheit auch in die mehr als menschliche Welt. Die Stimme gehört allen „drei Ökologien“ (Felix Guattari) an, der inneren/psychologischen Sphäre, der sozialen und dem im heutigen Sinne ökologischen Bereich.
Aus dieser Bewusstwerdung entspringt die zweite Aufgabe, die darin besteht, die Versehrtheit der Welt künstlerisch zu thematisieren und zu fragen, welche Versehrungen durch die ökologische Krise in den Menschen angerichtet werden.
Die erste Aufgabe hat viel damit zu tun, die stimmlichen Aktionen im Rahmen von Performances und anderen künstlerischen Aktionen, zu verorten. D.h. wir wollen feststellen, an welchen Orten wir „singen“ und welche Beziehung zwischen mir und dem Ort, an dem ich mich befinde, durch die Aktivierung der Stimme entsteht.
Von heute aus betrachtet war die Performance „Dialogue of Memories“ eine Arbeit, die sich genau dieser Frage gewidmet hat. Auf den Erfahrungen der Nacht lässt sich aufbauen und lassen sich Wege eröffnen, die zweite Frage mit ins Boot zu nehmen.
Wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, war die Performance 2021 in einer Hinsicht nicht erfolgreich. Mein Konzept formulierte die Vorstellung oder die Hoffnung, im Laufe der Nacht mit den Erinnerungen, die in der Höhle gespeichert sind, in einen direkten Kontakt zu treten, der sich in Stimmungen, Gefühlen oder Bildern ausdrückt. Das ist kaum geschehen. Zwar hatte ich manchmal den starken Eindruck, meine Stimme schafft es, einen Kontakt aufzubauen, aber mein Geist konnte nichts aus dem Raum oder den Schichten der Gesteine rund um mich herum aufnehmen.
Doch vielleicht ist etwas anderes passiert. Vor kurzem habe ich erfahren, dass es in der Sirgensteinhöhle Grabungen gibt und geben wird, bei denen schon in den ersten Monaten viele interessante Fundstücke zutage getreten sind. Mir gefällt die Idee, dass wir (STRATA) mit der Performance von mir und den anderen Aktionen, die dort stattgefunden haben, ein paar Energien in der Höhle in Bewegung bringen konnten und die Höhle jetzt, gut drei Jahre später, bereit ist, einige ihrer Geheimnisse zu lüften. Der Dialogue of Memories beginnt anscheinend mit ein wenig Verspätung! Im Anblick von 40000 Jahren Menschheitsgeschichte in dieser Höhle sind die drei Jahre nicht mehr als der berühmte Wimpernschlag.
photo: Marcel Sparmann
photo: Marcel Sparmann
Retrospective. Autumn 2024.
Three and a half years have passed since I spent a night making sounds in the Sirgenstein Cave. A lot has happened since then. I have spent a lot of time doing research, which all confronted me in very different ways with the question of what the art of voice has to do with life and the world, in ecological and political terms.
The texts that I edited from Alfred Wolfsohn, the founder of the art of voice, in whose tradition I see myself, show me how much the idea of the ‘human voice’ with all its sonic possibilities arose from the experiences that Wolfsohn, as a German Jew, had to undergo in the first half of the 20th century.
My work with the German playwright Paul Pörtner, who worked with Roy Hart and the Roy Hart Theatre in London in the early 1970s, made it clear to me that for both of them it was not about bringing some kind of spectacular vocal art to the stage, but rather about understanding working with one's own voice as a way of life that is only possible in interaction with other voices and humans.
And finally, the research entitled ‘vocal ecotism – vocal art for the wounded world’, which is still in full swing, has sharpened my awareness that contemporary vocal art (for me) must set itself two tasks: It must ensure that the voice and vocal art are no longer understood as purely cultural phenomena. In overcoming the modern separation of culture and nature, it reveals its integration into the world beyond the human. The voice belongs to all the ‘three ecologies’ (Felix Guattari), the inner/psychological sphere, the social and the ecological sphere in its contemporary sense.
The second task arises from this realisation and consists of artistically addressing the woundedness of the world and asking what kind of damage is being done to humans by the ecological crisis.
The first task has a lot to do with locating the vocal actions that occur in the context of performances and other artistic interventions. In other words, we want to identify the places where we ‘sing’ and the relationship between me and the place where I am when I activate my voice.
In retrospect, the performance ‘Dialogue of Memories’ was a work that addressed precisely this question. The experiences of the night allow us to build on and open up ways to take the second question on board.
As I have explained elsewhere, the 2021 performance was not successful in one respect. My concept formulated the idea or the hope of getting in touch during the night with the memories stored in the cave, which would show up as moods, feelings or images. That didn't really happen. Although I sometimes had the strong impression that my voice was able to establish contact, my mind was unable to absorb anything from the space or the layers of rock around me.
But maybe something else happened. Recently I learned that there are and will be excavations in the Sirgenstein Cave, and that many interesting finds have come to lights already in the first months. I like to think that we (STRATA), with the performance of me and the other actions that took place there, were able to set some energies in motion and that now, a good three years later, the cave is ready to reveal some of its secrets. It seems that the Dialogue of Memories is starting a little late! But in view of 40,000 years of human history in this cave, the three years are no more than the blink of an eye.
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