English below
In meinem ersten Stimmbuch „Wege zur Stimme“ habe ich einen längeren Exkurs über die Stimme der Engel geschrieben und dargelegt, wie der ursprünglich große und für menschliche Ohren eigentlich erschütternde Klang der Engel kulturgeschichtlich immer mehr domestiziert und zum bloß schönen Gesang reduziert wurde (Der Gesang der Engel, in: Wege zur Stimme, S.40 – 49. https://www.bod.de/buchshop/wege-zur-stimme-ralf-peters-9783744885232.
Was mir damals noch nicht klar war, ist die Verwandtschaft von singen und fliegen, die sich in der Figur des Engels manifestiert. Eine erste Andeutung für die Verbindung dieser beiden Tätigkeiten kam mir, als ich über den schönen Begriff des Lungenflügels nachdachte. Ich war gerade dabei, meine six healing sounds zu praktizieren, einer aus dem chinesischen Qi Gung stammenden Übung, bei der es darum geht, über relativ klar definierte Stimmklänge Bereiche oder Organe des Körpers anzusteuern und durch die mit dem Klang verbundenen Vibrationen zu aktivieren oder zu harmonisieren. Neben diesem rein physikalischen Aspekt besitzt die Übung der Logik des Qi Gung entsprechend geistige und energetische Dimensionen. Die Anerkennung des komplexen Beziehungsgeflechts, in dem die Stimme mit ihren Möglichkeiten im Menschen agiert, ist der Punkt an dem die six healing sounds anschlussfähig an eine Stimmpraxis sind, wie wir sie in der Tradition von Wolfsohn/Hart betreiben.
Jedenfalls gibt es einen Stimmklang, mit dem man zu den Lungen tönt und in bestimmten Variationen der Übung kann man diesen Prozess durch die Vorstellung eins weißen Lichts, das in die Lunge strömt, unterstützen. Das Weiß, das mir in den Sinn kam, war das eines weißgefiederten Vogels oder eben eines Engels. Und dann war es nicht mehr weit zu der Vorstellung der beiden Lungen als Flügel. Tatsächlich kommt der Begriff ja nicht aus heiterem Himmel (oder doch?), denn die Lungen haben eine Form, die an Flügel erinnert. Bei den meisten Engeldarstellungen in der europäischen Kulturgeschichte wachsen die Flügel aus dem Teil des Rückens, wo sich die Lungen beim Menschen befinden. (Sehr frühe Darstellungen zeigen die Cherubim und Seraphim allerdings oft mit vier oder sechs Flügeln, die teilweise aus der Vorderseite des Körpers wachsen.) Die Figur des Engels steht also für eine Erweiterung der menschlichen Möglichkeiten, die in dem Begriff des Lungenflügels so schön angedeutet ist. Die Luft ermöglicht nicht nur Atem, Leben und Gesang, sondern auch das Fliegen.
Singen und Fliegen bedürfen der Luft. Engel können beides. Sie fliegen durch den Äther und mit ihrem Gesang bewahren sie den Aufbau der Welt. Rückgebunden an das menschliche Dasein stehen sie für eine Idee von Freiheit, die sich menschlich im Gesang ausdrückt (“You can spread your wings and take to the sky!” Summertime von G. Gershwin).
Es kommt sehr oft vor, dass Menschen, die in unserer Arbeit Erfahrung von Freiheit in der Stimme machen, die freien Stimmbewegungen mit Bildern von fliegenden Vögeln verbinden. Stimmliche Freiheit scheint eine gewisse Nähe zur Freiheit des Fliegens zu besitzen. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass das verbindende Element die Luft ist, in der sich der Klang ebenso bewegt wie das geflügelte Wesen. Kulturgeschichtlich wird diese Nähe von Flug und Gesang schon von alters her durch die Figur der Engel repräsentiert. Ihr Gesang hält den Kosmos zusammen und ihre Flügel symbolisieren eine Freiheit der Bewegung in den kosmischen Sphären.
In my first voice book "Wege zur Stimme" (Ways to the Voice) I wrote a long excursus on the voice of angels and explained how the originally great and, to human ears, actually shocking sound of angels was gradually domesticated in cultural history and reduced to mere beautiful singing (Der Gesang der Engel (The Singing of Angels), in: Wege zur Stimme, pp.40 - 49. https://www.bod.de/buchshop/wege-zur-stimme-ralf-peters-9783744885232.). English version: http://waystothevoice.blogspot.com/2015/07/excursus-song-of-ab.html
What was not yet clear to me at the time was the relation of singing and flying, which manifests itself in the figure of the angel. A first suggestion of the connection between these two activities came to me when I was thinking about the beautiful concept of the German “Lungenflügel”, lung wing – a much more poetic expression than lobe of the lung. I was practising my six healing sounds, an exercise originating in Chinese Qi Gung, which involves using relatively clearly defined vocal sounds to target areas or organs of the body and activate or harmonise them through the vibrations associated with the sound. In addition to this purely physical aspect, the exercise has spiritual and energetic dimensions according to the logic of Qi Gung. The recognition of the complex network of relationships in which the voice with its possibilities operates in the human being is the point at which the six healing sounds are compatible with our voice practice in the tradition of Wolfsohn/Hart.
In any case, there is a vocal sound with which one sings to the lungs and in certain variations of the exercise one can support this process by imagining a white light streaming into the lungs. The white that came to my mind was that of a white-feathered bird or an angel. And then it was not far to the idea of the two lungs as wings. In fact, the term does not come out of the blue (or does it?), because the lungs have a shape that reminds one of wings. In most depictions of angels in European cultural history, the wings grow out of the part of the back where the lungs are located in humans. (Very early depictions, however, often show the Cherubim and Seraphim with four or six wings, some of which grow out of the front of the body). The figure of the angel thus stands for an expansion of human possibilities, which is so beautifully indicated in the concept of the wing of the lung. Air enables not only breath, life and song, but also flight.
Singing and flying require air. Angels can do both. They fly through the ether and with their singing they preserve the structure of the world. Linked back to human existence, they stand for an idea of freedom that expresses itself humanly in song ("You can spread your wings and take to the sky!" Summertime by G. Gershwin).
It happens very often that people who experience freedom in the voice in our work associate the free vocal movements with images of flying birds. Vocal freedom seems to have a certain nearness to the freedom of flying. No wonder, considering that the connecting element is the air, in which the sound moves as well as the winged being. In terms of cultural history, this nearness of flight and song has been represented from time immemorial by the figure of the angels. Their song holds the cosmos together and their wings symbolise a freedom of movement in the cosmic spheres.
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